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DORNRÖSCHEN
>Vorzeiten war ein König und eine Königin, die sprachen jeden Tag:
"Ach, wenn wir doch ein Kind hätten!", und kriegten immer keins. Da trug
sich zu, als die Königin einmal im Bade saß, daß ein Frosch
aus dem Wasser an Land kroch und zu ihr sprach: "Dein Wunsch wird erfüllt
werden, ehe ein Jahr vergeht, wirst du eine Tochter zur Welt bringen." Was der
Frosch gesagt hatte, das geschah, und die Königin gebar ein Mädchen,
das war so schön, daß der König vor Freude sich nicht zu lassen
wußte und ein großes Fest anstellte. Er ladete nicht bloß
seine Verwandte, Freunde und Bekannte, sondern auch die weisen Frauen dazu ein,
damit sie dem Kind hold und gewogen wären. Es waren ihrer dreizehn in
seinem Reiche, weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte, von welchen
sie essen sollten, so mußte eine von ihnen daheim bleiben.<
TAG, wir erinnern uns, ist mit Bedeutungen wie Hitze, brennen, glänzt,
Feuer und Sommer verbunden. Das Deutsche Wörterbuch schreibt: so dass der
tag ursprünglich die zeit bedeutet, wo die sonne brennt.
Wir bemerkten schon einmal einen Zusammenhang
zwischen dem Feuer des Winters und dem Sommertag. wieder wird ein solcher
offenbar, als die Königin im BAD sitzend die Botschaft hört. das Wort
ist zu bähen: 'durch Umschläge wärmen; Brot
rösten', aus indogermanisch *bhe~ 'erwärmen', bähen
und TAG (in seiner größten Wahrheit) machen aus etwas Unbestimmtem
Bestimmtes: aus Teig Brot, aus dem Keim die Pflanze, aus der Blüte die
Frucht. schließlich ersetzt uns das Winterfeuer ja auch die Sommersonne.
zur Badestube schreibt HEYNE: Gebadet wird, wenn
einer zu Gottes Tische gehen will, sonst hat der Bader auch die Pflicht, alle
vierzehn Tage drei Bäder, oder jeden Neumond 2 Bäder für den
öffentlichen Gebrauch. zu rüsten.
Das BAD vergliche also nicht nur den Winter- mit
dem Sommertag, es hätte ebenso einen Bezug zum Mond.
FROSCH heißt nach dem Deutschen
Wörterbuch auch: ein frischer mann oder kerl. wir erinnern uns des
gefangenen Eisenhans: der Schlüssel zu seinem Gefängnis liegt unter
dem Kopfkissen der Königin. Aber da ist der Unterschied: diese
Königin hat einen Sohn :: unsere nun ist kinderlos. Eisenhans ward mit
Gewalt gebracht :: der Frosch kriecht an Land. Freilich wäre das ein
Vergleich: da die Königinnen einen Gemahl haben, einen König, naht
der KERL erniedrigt.
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zu kriechen schreibt das
Deutsche Wörterbuch: Die ursprüngliche be-deutung ist, wie es
scheint, nicht die gewöhnliche, sondern sich einziehen, sich ducken. KLUGE
führt das Wort zur indogermanischen Wurzel *ger- 'winden'.
Im Falle des Eisenhans, wie des Vaters
Dornröschens, ist der König taub: im Märchen
vom Eisenhans verschlingt ihm die Wildnis die Leute
/Jäger/ :: in unserem kann seine Frau kein Kind gebären
: dem einen wird von der Fülle genommen :: der andere erreicht sie nicht.
Unser König, den der Mangel peinigte,
lädt zur Feier seiner Wunscherfüllung ein: nicht nur seine Verwandten
etc., sondern auch die weisen Frauen. weise ist zu
indogermanisch *ueid- 'sehen'. FRAU: 'Herrin'.
Außergermanisch sind verwandt die ablautenden Bildungen altindisch purra
(indogermansich *pruo-) 'frühere, erster', altslavisch
pruvu 'erster', altindisch purvya 'früher'. Den
Bedeutungswandel von 'erster' zu 'Herr' hat auch Fürst vollzogen.
die Sehenden, die auch die Früheren, Ersten
sind, möchten dem Kinde hold sein. das ist altnordisch
hollr, was an die Frau Holle erinnert. Man zieht hold zur
germanischen Wurzel *hal- 'sich neigen'; tat derlei nicht die
Frau Holle? als sie die beiden Jungfrauen wieder hinab zur Erde sandte? Sie
sollen dem Kinde auch gewogen sein: wagen: wägen: zum
indogermanischen Verbalstamm *uegh- 'bewegen, ziehen, fahren'.
Im Grunde erwartet der König von den 12
weisen Frauen das, was Frau Holle den 2 Jungfrauen gewährt: sie
möchten sich dem Kinde zuneigen, daß es sich bewegen, also leben
kann.
astral hieße das: das alte
Jahr möchte sich dem neuen als geneigt erweisen, daß die neuen
Zirkel eröffnet würden.
Aber die weisen Frauen sind nicht 12, sondern 13.
Das Deutsche Wörterbuch schreibt: dreizehn wird als die
gefährlichste, bedeutungsvollste zahl betrachtet. sitzen dreizehn bei
einander zu tisch, so glaubt man müsse einer binnen Jahresfrist sterben.
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