Exposé | Frank Töppe | Katalog
Leseprobe zu
DAS GEHEIMNIS DES BRUNNENS - Band III


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DORNRÖSCHEN

>Vorzeiten war ein König und eine Königin, die sprachen jeden Tag: "Ach, wenn wir doch ein Kind hätten!", und kriegten immer keins. Da trug sich zu, als die Königin einmal im Bade saß, daß ein Frosch aus dem Wasser an Land kroch und zu ihr sprach: "Dein Wunsch wird erfüllt werden, ehe ein Jahr vergeht, wirst du eine Tochter zur Welt bringen." Was der Frosch gesagt hatte, das geschah, und die Königin gebar ein Mädchen, das war so schön, daß der König vor Freude sich nicht zu lassen wußte und ein großes Fest anstellte. Er ladete nicht bloß seine Verwandte, Freunde und Bekannte, sondern auch die weisen Frauen dazu ein, damit sie dem Kind hold und gewogen wären. Es waren ihrer dreizehn in seinem Reiche, weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte, von welchen sie essen sollten, so mußte eine von ihnen daheim bleiben.<
TAG, wir erinnern uns, ist mit Bedeutungen wie Hitze, brennen, glänzt, Feuer und Sommer verbunden. Das Deutsche Wörterbuch schreibt: so dass der tag ursprünglich die zeit bedeutet, wo die sonne brennt.
     Wir bemerkten schon einmal einen Zusammenhang zwischen dem Feuer des Winters und dem Sommertag. wieder wird ein solcher offenbar, als die Königin im BAD sitzend die Botschaft hört. das Wort ist zu bähen: 'durch Umschläge wärmen; Brot rösten', aus indogermanisch *bhe~ 'erwärmen', bähen und TAG (in seiner größten Wahrheit) machen aus etwas Unbestimmtem Bestimmtes: aus Teig Brot, aus dem Keim die Pflanze, aus der Blüte die Frucht. schließlich ersetzt uns das Winterfeuer ja auch die Sommersonne.
     zur Badestube schreibt HEYNE: Gebadet wird, wenn einer zu Gottes Tische gehen will, sonst hat der Bader auch die Pflicht, alle vierzehn Tage drei Bäder, oder jeden Neumond 2 Bäder für den öffentlichen Gebrauch. zu rüsten.
     Das BAD vergliche also nicht nur den Winter- mit dem Sommertag, es hätte ebenso einen Bezug zum Mond.
     FROSCH heißt nach dem Deutschen Wörterbuch auch: ein frischer mann oder kerl. wir erinnern uns des gefangenen Eisenhans: der Schlüssel zu seinem Gefängnis liegt unter dem Kopfkissen der Königin. Aber da ist der Unterschied: diese Königin hat einen Sohn :: unsere nun ist kinderlos. Eisenhans ward mit Gewalt gebracht :: der Frosch kriecht an Land. Freilich wäre das ein Vergleich: da die Königinnen einen Gemahl haben, einen König, naht der KERL erniedrigt.
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     zu kriechen schreibt das Deutsche Wörterbuch: Die ursprüngliche be-deutung ist, wie es scheint, nicht die gewöhnliche, sondern sich einziehen, sich ducken. KLUGE führt das Wort zur indogermanischen Wurzel *ger- 'winden'.
     Im Falle des Eisenhans, wie des Vaters Dornröschens, ist der König taub: im Märchen vom Eisenhans verschlingt ihm die Wildnis die Leute /Jäger/ :: in unserem kann seine Frau kein Kind gebären : dem einen wird von der Fülle genommen :: der andere erreicht sie nicht.
     Unser König, den der Mangel peinigte, lädt zur Feier seiner Wunscherfüllung ein: nicht nur seine Verwandten etc., sondern auch die weisen Frauen. weise ist zu indogermanisch *ueid- 'sehen'. FRAU: 'Herrin'. Außergermanisch sind verwandt die ablautenden Bildungen altindisch purra (indogermansich *pruo-) 'frühere, erster', altslavisch pruvu 'erster', altindisch purvya 'früher'. Den Bedeutungswandel von 'erster' zu 'Herr' hat auch Fürst vollzogen.
     die Sehenden, die auch die Früheren, Ersten sind, möchten dem Kinde hold sein. das ist altnordisch hollr, was an die Frau Holle erinnert. Man zieht hold zur germanischen Wurzel *hal- 'sich neigen'; tat derlei nicht die Frau Holle? als sie die beiden Jungfrauen wieder hinab zur Erde sandte? Sie sollen dem Kinde auch gewogen sein: wagen: wägen: zum indogermanischen Verbalstamm *uegh- 'bewegen, ziehen, fahren'.
     Im Grunde erwartet der König von den 12 weisen Frauen das, was Frau Holle den 2 Jungfrauen gewährt: sie möchten sich dem Kinde zuneigen, daß es sich bewegen, also leben kann.
     astral hieße das: das alte Jahr möchte sich dem neuen als geneigt erweisen, daß die neuen Zirkel eröffnet würden.
     Aber die weisen Frauen sind nicht 12, sondern 13. Das Deutsche Wörterbuch schreibt: dreizehn wird als die gefährlichste, bedeutungsvollste zahl betrachtet. sitzen dreizehn bei einander zu tisch, so glaubt man müsse einer binnen Jahresfrist sterben.
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