Exposé | Frank Töppe | Katalog
Leseprobe zu
DAS GEHEIMNIS DES BRUNNENS - Band II


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DIE GÄNSEMAGD

>Es lebte einmal eine alte Königin, der war ihr Gemahl schon lange Jahre gestorben, und sie hatte eine schöne Tochter. Wie die erwuchs, wurde sie weit über Feld an einen Königssohn versprochen. Als nun die Zeit kam, wo sie vermählt werden sollten und das Kind in das fremde Reich abreisen mußte, packte ihr die Alte gar viel köstliches Gerät und Geschmeide ein, Gold und Silber, Becher und Kleinode, kurz alles, was nur zu einem königlichen Brautschatz gehörte, denn sie hatte ihr Kind von Herzen lieb. Auch gab sie ihr eine Kammerjungfer bei, welche mitreiten und die Braut in die Hände des Bräutigams überliefern sollte, und jede bekam ein Pferd zur Reise, aber das Pferd der Königstochter hieß Falada und konnte sprechen. Wie nun die Abschiedsstunde da war, begab sich die alte Mutter in ihre Schlafkammer, nahm ein Messerlein und schnitt damit in ihre Finger, daß sie bluteten; darauf hielt sie ein weißes Läppchen unter und ließ drei Tropfen Blut hinfallen, gab sie der Tochter und sprach: "Liebes Kind, verwahre sie wohl, sie werden dir unterwegs not tun."<

Die Tochter der Königin ist über Feld versprochen. die Mutter, alt und schon lange ohne Gemahl, macht ihr als MitGift einen Schatz dinglichen Reichtums zum Gepäck.
     Rotkäppchens Schatz, deswegen sie ihre Reise antrat, war Kuchen und Wein. wir erkannten sie als die luxuriösesten Erzeugnisse der Kultur, von denen man, indem man die Nahrung zu sich nimmt, besondere Stärkung und Genuß hat.
Anscheinend macht sich auch die Tochter unseres Märchens auf jenen Weg, der womöglich die Jahre verbinden soll. auch sie erhält luxuriöse Erzeugnisse der Kultur. auch dieser Schatz verhilft zum Genuß: aber auf besondere Weise: er ist der Aus=Fall aus dem Reichtum des JAHRES, von jenem Teil erbracht, der übrig blieb. der also jenseits des Notwendigen geriet. von da=her kommt, in Formen gegossen und dem HANDEL vertraut, das Gold und bereichert den Haushalt zur Ewigkeit hin: diese kulturellen Güter können nicht verderben!
     Freilich schickt nicht die prall im Leben stehende Mutter das Kind auf den Weg, sondern jene, die alt ist und die Freuden der Fruchtbarkeit, es sind auch Freuden am Geschlecht, lange schon vergaß. In diesem Sinne ist sie der Großmutter Rotkäppchens ähnlicher als der Mutter desselben.
     Dann aber bedurfte auch die Königstochter der GoldKugel, daß sie der Froschkönig erkennt. und: da die Mutter so weit jenseits ihrer geschlechtlichen Freuden geriet, muß sie sich in die Finger schneiden, daß Blut daraus tropft?
     Wir erinnern uns der Schwester der sieben Raben, die sich einen Finger abschnitt, um zu ihren jenseitigen Brüdern zu gelangen. die Mutter Aschenputtels schneidet sich in diesen, gibt ihm eine menstruierende Vagina. Das magische Ritual verschwört also das sich entfernende Mädchen dem geheimen Blut, dessen die Mutter womöglich schon entsagen mußte, so daß sie tatsächlich eher wie eine Großmutter, denn wie eine Mutter handelt, die noch mitten in der Fruchtbarkeit steht. Aber: hätte sie sich nicht doch mit einer Spitze stechen müssen? statt mit einem Messer? ist dieser Zwiespalt das Dilemma der Mutter?
     Nicht nur überhäuft sie das Kind mit einem Schatz, Ergebnis eines langen Lebens /der Froschkönig erkennt die Königstochter an einem Spielzeug!/ so gibt sie ihr noch eine Kammerjungfer bei, eine Konkurrentin im Geschlechtlichen: wieder stellt sie den STAND über die einfache Wahrheit der Hochzeit: das geschlechtliche Verlangen: der Froschkönig will das Mädchen, das unter ihm zur Frau wird!
     Wäre ein weiterer Fehler, das Kind auf ein Pferd zu setzen? PFERD: Roß: geht auf 'springen', dem Wort springen zugehörige Substantive sind althochdeutsch Sprung, mittelhochdeutsch sprunc. altgermanisch spryng 'Wasserquell' und mit Ablaut neuhochdeutsch Spring, mittelhochdeutsch sprinc 'Sprung, Quelle, Springbrunnen'. Wurzel *spergh-, nasaliert *sprengh- 'sich hastig bewegen'; eine Ablautform *sprogh- in altnordisch sproga 'hüpfen'.
     Das Pferd stellte die Königstochter dann doch zur Welt des Froschkönig in Beziehung, aber auch die Kammerjungfer bekommt derlei unter sich: der Unterschied: das der Königstochter hat einen Namen und kann sprechen.
     also der Name: fahl ist zu indogermanisch *pel-: *pol- in Ausdrücken für unscharfe Farben. falb: aus mittelhochdeutsch val, valwer haben sich zwei neuhochdeutsche Wörter entwickelt: fahl und falb. die GRIMMs schreiben: Besonders merkwürdig . . ist der Name Falada (die mittlere Sylbe kurz), weil Rolands Pferd, Valentich, Falerich, Velentin, in den Heimonskindern . . Volatin heißt, und das Pferd Wilhelms von Oranse . . Volatin, Valatin, Valantin.
     VOLAND: Teufel mit der älteren Nebenform Valand, mittelhochdeutsch valant 'Teufel': ein altes Partizip mit der Grundbedeutung 'der Schreckende'. Verwandt sind altnordisch fala 'Riesenweib, Hexe', faela 'erschrecken', femtr 'Schreck', eal-felo 'verderblich, schrecklich'.
     fala (vgl. mittelhochdeutsch valentinne) ist nach NECKEL hexe, rie-sin. falda: (feit, faldinn) jemande / jemanden eine kopfbedeckung aufsetzen, faldr: helmartige, weibliche kopfbedeckung. fela : (fal, folginn; gotisch filhan) I. verstecken, verbergen, im eigentlichen sinne; unsichtbar (wegen der weiten entfernung) anbringen; 2. tauchen; 3. in Sicherheit bringen, und einen in jemandes hut oder gewalt; jemand aufbewahren.
     Dem heiligen Valentin ist der 14. Februar bestimmt. Bei uns gilt, vielleicht durch den Wortanklang (Valentin - fallen) Valentin als Unglückstag. In Nordfrankreich, Belgien, England, heute besonders in Amerika, ist Valentin großer Tag der Liebenden mit einem unserem Neujahr vergleichbaren Aufwand von Glückwunschkarten. Schulfreunde, Verwandte, Ehefrauen, am meisten junge Mädchen erhalten Valentine Greetings mit aufgemalten Herzen und Sprüchen . . In Betracht kommt auch der in manchen Gegenden bestehende Volksglaube, daß am 14. Februar Vogelhochzeit sei.
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