Exposé | Frank Töppe | Katalog
Leseprobe zu
ZUKÜNFTIGE TOPOGRAPHIE DES HERCYNISCHEN WALDES

[...]

II

Seit wann ich weiß, daß mich ihr Blick wie eine noch ferne Gier zuweilen sucht? Vor zwei Tagen war es, bevor wir den Zechstein erreichten, eine Ebene des Horizontes, kleine Hügel unter dem blaudunklen, weitlangenden Bergen, die die Ferne begrenzten. Da begann ich, mich scheu umzuschauen. Es war am Hange jener Kalkberge, die nur mit wenigen Klippen aus dem Wald ragen, der über sie gewachsen ist. Dort nahm seinen Anfang, was mich vor diesen Strauch gestellt hat, hinter dessen asymmetrisch geformten, kurz behaarten, samtigen Blätter sie sich verborgen hielt. Dort im Muschelkalk, in jenem abendlich milden Licht, das ich so sehr liebe, sah ich durch eine winzige Schneise weit über Land, ein Anblick, der uns nur selten gewährt wurde, da die Bäume gewöhnlich den Blick in die Ferne verstellen. Die Wärme des Tages lag noch über dem Land; mir schien, als dehnten sich unter ihr und der rot fallenden Sonne wohlig die Hügel.
Ich habe den Wald hassen gelernt, gewiß. Er duckt dich unter das Gewölbe des Geästs und den Schatten des Laubs. Welch Sehnsucht nach der Helle über den Blättern, jener durchdringenden Wärme, die die Bäume hoch oben empfangen, und von der sie nur wenige tanzende Strahlen gleich einem kostbaren Geschenk zum Boden hin entlassen. Wie oft war ich versucht, dann zu verharren, lange Momente zu stehen. Aber da das Bündel Strahlen wanderte, zwang es mich ebenso dazu.
Müde war ich gewesen. Den Tag über waren wir gegangen. Nun nötigten uns Körper und Geist zur Ruhe. Gern überließ ich mich diesem Bedürfnis. Es befreit von jenem Zwang nach Verantwortung, den der Tag aufbürdet, indem er dein Tätigsein fordert, deine Aufmerksamkeit: jeder Augenblick verlangt seinen Tribut. Und erst die Dunkelheit und der Schlaf entlassen dich in die Stille deines Selbst, deiner Selbstverantwortung, jenen Raum in dir, den erst wieder die Träume mit Schrecken füllen werden.
Vom Berg her brach Maud. Ihr jeansgestraffter, jeansgewetzter Hintern lugte doppelbackig aus den Büschen. Schlitz. Beidseitig schwellende Schenkel. Ratsch! Ein Weißdornzweig hatte ihr eine Angel in die Hose gerissen. Maud fluchte. Sie hatte eine trockene, verzweigte Astgabel aus dem Gebüsch geschleift. Wie üblich wollte sie schnell die Angelegenheit hinter sich bringen; statt kleine Äste zu holen, quälte sie sich mit dem Viertel eines Baumes. Was blieb mir übrig, als ihr zu helfen. Zu zweit treckten wir das Ungetüm aus dem Weißdorn und schmissen es an den Platz, wo das Feuer entstehen sollte. Altes Zwetschgenholz : unsere Hände waren von der Rinde schwarz.
Maud sah mich kurz und böse mit ihren opalblauen Augen an. Die vollen Lippen ihres kleinen Mundes waren leicht geöffnet. Sie wischte sich die Hände am Gras. Ich tat das gleiche und setzte mich wieder, zu schauen.
Neben Ellrich lag ein Büschel Roggen. Sorgfältig hatte er unterhalb der Ähren die stielrunden, hohlen Halme abgetrennt, ungefähr in gleicher Höhe, was seinem Sinn nach Ordnung geschuldet war, nicht einer bedachtsamen Ernte, denn die Sorge, die Körner könnten am ungelegenen Ort aus den Ähren fallen, wäre, da sie noch fest in ihnen saßen, unbegründet.
Zwischen die Beine hatte er sich eine halbrunde, alte, zerbeulte, von Ruß geschwärzte Aluminiumschüssel gestellt. Nun nahm er die Ähren einzeln auf, schüttelte sie einmal kräftig über dem metallenen Behältnis und löste mit schlanken Fingern aus den begrannten Deckspelzen einzeln die Körner, indem er diese in sanften, genauen Bewegungen ertastete, herabbog, nach dem Korn fühlte, es faßte und mit einem
.....klick....................
.....in die blecherne Schüssel fallen ließ.

[...]

Orschel war von oben aus dem Wald gekommen und hielt uns, lang wie er war, seinen Alutopf hin, damit wir sehen konnten, daß er ihn voll köstlich duftender Walderdbeeren gepflückt hatte. Maud sah erst in das Gefäß, dann dankbar auf Orschel. Sie hatte ihre Hose ausgezogen und notdürftig geflickt. Nun war sie wieder bekleidet und wartete auf das Essen. Ellrich ließ sich nicht stören. Er hatte, nachdem die Ähren geleert waren, einen Stein genommen und stauchte ihn in die Schüssel. Die zerquetschten Körner klebten am Stampfer, so daß der Druck zu sehr gedämpft wurde. Ellrich streifte den Stein ab und fuhr in seinem Bemühen fort, während sein seidenweiches, schulterlanges Haar den heftigen Bewegungen des Körpers nachhing.
      Gelangweilt schaute Maud diesem Treiben zu; für die Geduld des Mannes hatte sie kein Gespür.
      Ellrich war ein stiller Mann, von sanftem Wesen. Noch nie hatte ich ihn zornig erlebt, aber auch nie in der Ausgelassenheit plötzlicher Freude. Immer war er ein wenig fern von uns, einer Kraft gleich, die von irgendwo zu uns kam, das Gemüt zu stillen.
      Sein Gesicht war offen, glatt, ein wenig rund, seine blaß-blauen Augen schauten gleichmütig die Dinge; jedes bekam den gleichen Anteil Zuwendung.
Orschel stellte seinen Topf neben den Ellrichs; dann ging er wenige Schritte und stand neben dem Loch, die Fäuste in die Hüften gestemmt und starrte hinab.
      Das machte mich unruhig. Ich versuchte mich mit dem Blick in die Weite abermals abzulenken, weich geschwungene Landschaft in spätem, farbsattem Licht. Auf unserer Wiese war die Sonne längst nicht mehr. Hier kam Kühle aus dem Wald.
      Orschel hatte sich von der Tiefe wieder abgewandt. Von seinem Gürtel hing ein mit Lehm verschlossener Knochen. Er nahm ihn ab, entfernte die Kappe, schüttete ein wenig Glut auf einen bereitliegenden Stein, tat trockenes Moos, verwelktes Gras und kleine Äste darauf, die ich neben den Stein plaziert hatte, und blies mit sanfter Kraft bis erste Flammen züngelten und das Werg ergriffen, das knisternd verbrannte. Maud legte Äste nach und bald loderte das Feuer.
      Ellrich goß derweil aus seiner zerbeulten Aluflasche Wasser auf die zu Flocken gestampften Körner und hing die Schüssel zwischen die drei Stecken, die Orschel über das Feuer gestellt hatte. Mit der einen Hand, die Finger netzend, hielt er den Topf, mit der anderen rührte er den Brei bis eine sämige Grütze entstanden war. Mit etwas Wasser versuchte er sie zu verdünnen, nahm die Schüssel vom Feuer und stellte sie zwischen uns. Mit dem Holzlöffel, der ihm zum Rühren gedient hatte, teilte er jedem eine Portion zu; klatschend landete sie auf den Schalen, die wir ihm hinhielten, und füllte sie aus. Die Erdbeeren schütten wir darüber und begannen zu essen. Warm strahlte der Brei aus der Mitte unseres Leibes und ließ uns still und getröstet sein.
      Wir säuberten schließlich das Geschirr mit Wasser und einem Büschel Gras. Dann überließen wir uns dem Gefühl des Zeitlosen, das die Sättigung erzeugt.
[...]




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