[...]
II
Seit wann ich weiß, daß mich ihr Blick wie eine noch ferne Gier
zuweilen sucht? Vor zwei Tagen war es, bevor wir den Zechstein erreichten, eine
Ebene des Horizontes, kleine Hügel unter dem blaudunklen, weitlangenden
Bergen, die die Ferne begrenzten. Da begann ich, mich scheu umzuschauen. Es war
am Hange jener Kalkberge, die nur mit wenigen Klippen aus dem Wald ragen, der
über sie gewachsen ist. Dort nahm seinen Anfang, was mich vor diesen
Strauch gestellt hat, hinter dessen asymmetrisch geformten, kurz behaarten,
samtigen Blätter sie sich verborgen hielt. Dort im Muschelkalk, in jenem
abendlich milden Licht, das ich so sehr liebe, sah ich durch eine winzige
Schneise weit über Land, ein Anblick, der uns nur selten gewährt
wurde, da die Bäume gewöhnlich den Blick in die Ferne verstellen. Die
Wärme des Tages lag noch über dem Land; mir schien, als dehnten sich
unter ihr und der rot fallenden Sonne wohlig die Hügel.
Ich habe den Wald hassen gelernt, gewiß. Er duckt dich unter das
Gewölbe des Geästs und den Schatten des Laubs. Welch Sehnsucht nach
der Helle über den Blättern, jener durchdringenden Wärme, die
die Bäume hoch oben empfangen, und von der sie nur wenige tanzende
Strahlen gleich einem kostbaren Geschenk zum Boden hin entlassen. Wie oft war
ich versucht, dann zu verharren, lange Momente zu stehen. Aber da das
Bündel Strahlen wanderte, zwang es mich ebenso dazu.
Müde war ich gewesen. Den Tag über waren wir gegangen. Nun
nötigten uns Körper und Geist zur Ruhe. Gern überließ ich
mich diesem Bedürfnis. Es befreit von jenem Zwang nach Verantwortung, den
der Tag aufbürdet, indem er dein Tätigsein fordert, deine
Aufmerksamkeit: jeder Augenblick verlangt seinen Tribut. Und erst die
Dunkelheit und der Schlaf entlassen dich in die Stille deines Selbst, deiner
Selbstverantwortung, jenen Raum in dir, den erst wieder die Träume mit
Schrecken füllen werden.
Vom Berg her brach Maud. Ihr jeansgestraffter, jeansgewetzter Hintern lugte
doppelbackig aus den Büschen. Schlitz. Beidseitig schwellende Schenkel.
Ratsch! Ein Weißdornzweig hatte ihr eine Angel in die Hose gerissen. Maud
fluchte. Sie hatte eine trockene, verzweigte Astgabel aus dem Gebüsch
geschleift. Wie üblich wollte sie schnell die Angelegenheit hinter sich
bringen; statt kleine Äste zu holen, quälte sie sich mit dem Viertel
eines Baumes. Was blieb mir übrig, als ihr zu helfen. Zu zweit treckten
wir das Ungetüm aus dem Weißdorn und schmissen es an den Platz, wo
das Feuer entstehen sollte. Altes Zwetschgenholz : unsere Hände waren von
der Rinde schwarz.
Maud sah mich kurz und böse mit ihren opalblauen Augen an. Die vollen
Lippen ihres kleinen Mundes waren leicht geöffnet. Sie wischte sich die
Hände am Gras. Ich tat das gleiche und setzte mich wieder, zu schauen.
Neben Ellrich lag ein Büschel Roggen. Sorgfältig hatte er unterhalb
der Ähren die stielrunden, hohlen Halme abgetrennt, ungefähr in
gleicher Höhe, was seinem Sinn nach Ordnung geschuldet war, nicht einer
bedachtsamen Ernte, denn die Sorge, die Körner könnten am ungelegenen
Ort aus den Ähren fallen, wäre, da sie noch fest in ihnen
saßen, unbegründet.
Zwischen die Beine hatte er sich eine halbrunde, alte, zerbeulte, von Ruß
geschwärzte Aluminiumschüssel gestellt. Nun nahm er die Ähren
einzeln auf, schüttelte sie einmal kräftig über dem metallenen
Behältnis und löste mit schlanken Fingern aus den begrannten
Deckspelzen einzeln die Körner, indem er diese in sanften, genauen
Bewegungen ertastete, herabbog, nach dem Korn fühlte, es faßte und
mit einem
.....klick....................
.....in die blecherne Schüssel fallen ließ.
[...]
Orschel war von oben aus dem Wald gekommen und hielt uns, lang wie er war,
seinen Alutopf hin, damit wir sehen konnten, daß er ihn voll
köstlich duftender Walderdbeeren gepflückt hatte. Maud sah erst in
das Gefäß, dann dankbar auf Orschel. Sie hatte ihre Hose ausgezogen
und notdürftig geflickt. Nun war sie wieder bekleidet und wartete auf das
Essen. Ellrich ließ sich nicht stören. Er hatte, nachdem die
Ähren geleert waren, einen Stein genommen und stauchte ihn in die
Schüssel. Die zerquetschten Körner klebten am Stampfer, so daß
der Druck zu sehr gedämpft wurde. Ellrich streifte den Stein ab und fuhr
in seinem Bemühen fort, während sein seidenweiches, schulterlanges
Haar den heftigen Bewegungen des Körpers nachhing.
Gelangweilt schaute Maud diesem Treiben zu;
für die Geduld des Mannes hatte sie kein Gespür.
Ellrich war ein stiller Mann, von sanftem Wesen.
Noch nie hatte ich ihn zornig erlebt, aber auch nie in der Ausgelassenheit
plötzlicher Freude. Immer war er ein wenig fern von uns, einer Kraft
gleich, die von irgendwo zu uns kam, das Gemüt zu stillen.
Sein Gesicht war offen, glatt, ein wenig rund,
seine blaß-blauen Augen schauten gleichmütig die Dinge; jedes bekam
den gleichen Anteil Zuwendung.
Orschel stellte seinen Topf neben den Ellrichs; dann ging er wenige Schritte
und stand neben dem Loch, die Fäuste in die Hüften gestemmt und
starrte hinab.
Das machte mich unruhig. Ich versuchte mich mit
dem Blick in die Weite abermals abzulenken, weich geschwungene Landschaft in
spätem, farbsattem Licht. Auf unserer Wiese war die Sonne längst
nicht mehr. Hier kam Kühle aus dem Wald.
Orschel hatte sich von der Tiefe wieder
abgewandt. Von seinem Gürtel hing ein mit Lehm verschlossener Knochen. Er
nahm ihn ab, entfernte die Kappe, schüttete ein wenig Glut auf einen
bereitliegenden Stein, tat trockenes Moos, verwelktes Gras und kleine Äste
darauf, die ich neben den Stein plaziert hatte, und blies mit sanfter Kraft bis
erste Flammen züngelten und das Werg ergriffen, das knisternd verbrannte.
Maud legte Äste nach und bald loderte das Feuer.
Ellrich goß derweil aus seiner zerbeulten
Aluflasche Wasser auf die zu Flocken gestampften Körner und hing die
Schüssel zwischen die drei Stecken, die Orschel über das Feuer
gestellt hatte. Mit der einen Hand, die Finger netzend, hielt er den Topf, mit
der anderen rührte er den Brei bis eine sämige Grütze entstanden
war. Mit etwas Wasser versuchte er sie zu verdünnen, nahm die
Schüssel vom Feuer und stellte sie zwischen uns. Mit dem Holzlöffel,
der ihm zum Rühren gedient hatte, teilte er jedem eine Portion zu;
klatschend landete sie auf den Schalen, die wir ihm hinhielten, und füllte
sie aus. Die Erdbeeren schütten wir darüber und begannen zu essen.
Warm strahlte der Brei aus der Mitte unseres Leibes und ließ uns still
und getröstet sein.
Wir säuberten schließlich das
Geschirr mit Wasser und einem Büschel Gras. Dann überließen wir
uns dem Gefühl des Zeitlosen, das die Sättigung erzeugt.
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