Frank Töppe | Katalog
Leseprobe zu
NIEDERUNGEN

[...]

IV

Petrus folgte dem Gang. Er reichte tiefer, als er erwartet hatte. Zuvörderst roher Tuff; da er leicht zu bearbeiten war, wirkte die Öffnung rund und geglättet. Dann, erschreckend maulartig im fahlen Licht, waagrecht lange, niedrige Nischen, mehrere übereinander, so lang, daß ein Mensch liegend darin Platz fand für jene Zeit, deren Unbestimmtheit Petrus soeben bedrängt hatte.
Auf jeder Seite drei Grabmulden; sie gähnten dem Manne in ihrer hungrigen Leere wie ein Vorwurf.
Er durchschritt diese Zone. Nun waren die Wände gekalkt. Es ward heller, denn auch dem Licht kam er näher. Ein fast heiteres Weiß umfing ihn. Linien erkannte Petrus an den Wänden, Vorzeichnungen, schwach und andeutend. Angenehm gliederten sie das Gewölbe. Wie überrascht war er, als aus diesen Zeichnungen in verschiedenen Stufen der Arbeit allmählich Farbiges, Deutliches, Faßbares wurde: in großen rechtwinkligen Rahmen aus leuchtendem Blau Rhomben, Viertel- und Halbkreise und Kreise in gelbem, orangenem Ton. Die starke Gliederung war von feinen Linien umzogen. Girlanden durchhingen sie, so gemalt, als wären sie daran befestigt. Zweige offenbarten sich dann, Pfauen, Tauben und Blumen schönster Art.
Des Paradieses herrliches, friedliches, ewiges Gefield.
Das Heitere übertrug sich auf Petrus, glättete mild sein Gefühl, das sich also dem dargestellten Garten zuneigte, der rein und zart jedwede Regung ins gedanklich Schauende hob.
Langreichende Schatten fielen aus dem sich erweiternden Gang. Sie bewegten sich in langsamem Rhythmus. Petrus rief. Ein Mann lugte mit dem Kopf hinter der rechten Ecke vor, das schwarze, verschwitzte Haar von Farbe bunt verspritzt. Auch der Bart leuchtete vielfarbig. Ein gefurchtes, zerschnittenes Gesicht, darin die schwarzen Pupillen brannten.
Der Kopf verschwand. Der Mann gab einem anderen die Ankunft des Petrus kund.
Lugte hinter der linken Ecke der Kopf des anderen vor. Auch dieses Antlitz, jünger als das vorige, war von Mühen gezeichnet. Schulterlanges, braunes Haar, der Bart schütter, aber das Schwarz der Pupillen brannte auch ihm.
Petrus hatte das Ende des Ganges erreicht und stand dem Kopfe gegenüber. Der offenbarte hohe Freude.
Die beiden Männer malten in dem Raum, den Petrus nun betrat, mit einfachen, abgewetzten Pinseln von zwei Tischen aus, nur mit dem Schurz bekleidet, daß die sehnigen, ausgemergelten Körper im Schweiße glänzten; denn die beiden doppelflammigen Öllampen machten Wärme.

V

Tier aus Rom: sie schneiden dich in Marmor, gießen dich aus Bronze, plazieren dich in die Mitte des Erdkreises und sagen: bete zu ihm. Opfere, daß seine, daß unsere Herrschaft erhalten bleibt. Was geht uns diese Herrschaft an? da Du HErr, unser König und ihr Richter bist. Jetzt schon sind ihre Paläste nichts als Staub. Dort drüben, auf jenem Hügel leuchten mir die Steine der Akropolis. Reste einstiger Überhebung. Welche Leere jetzt die Insel füllt. Sie aber auf dem Festland sehen noch immer Gold und Macht, so blind sind sie. Haltet fest an dieser Chimäre, glaubt doch, ihr könntet mit ihr eure Zukunft sichern. Die Wahrheit ist: ihr fallt, euch ans steinerne Bildnis klammernd, klaftertief in eure Abgründe. Wir aber werden dort nicht sein.
Der Ephebe hatte ihm nicht nur Wasser und Essen hinauf gebracht, sondern auch die Gegenwart dieser Unwahrheit mit dem starren Blick ihrer toten Augen: mitten im Rauch der Altäre stand die dickköpfige Statue, Hohn auf des Himmels wahren Ort. Das Antlitz des römischen Caesars: welches Gebet könnte dem gelten? allein der Tribut. Die irdische Macht möge man ihm zugestehen, was ficht sie mich an, nie, nie jedoch mein Denken, mein Hoffen und meine Zuversicht; die sind allein in Dir, o HErr.
Aber nicht nur den Tribut holen sie sich von uns, sondern auch das Gebet an ihren Caesar.
- Wo Licht scheinst Du in dieser Finsternis? Johannes erschrak über die Laute, die kurz vor ihm wie in Dinglichem, Nachgebendem verschwanden und doch in der Ferne tätig schienen, nicht indem sie hörbar wurden, sondern als Wahrheit zum Endlosen hin zur eigentlichen Wirkung fanden.
Oder ist die Welt als Irdisches das, was mich letztlich treibt? ich versänke ansonsten im Nichts der Weite?
Aber es ist das Wort, was mir zum Fernsten den Bezug herstellt. Es trägt die Wahrheit über alle Abgründe an Zeit und Raum hinweg, vor allem: erhält sie unter uns, macht sie während, läßt uns mit ihr sein. Durch sie werden wir endlich selbst.
Doch auch die Lüge bedient sich des Wortes. Sie gelingt freilich nur, wenn man am Irdischen festhält, wenn man wieder und wieder darauf zurückfällt, wenn man meint, mit dem Golde wäre uns Reichtum gegeben.
Hat GOtt die Welt als Ärgernis geschaffen, das es zu überwinden gilt, das Licht der Hoffnung hingegen, um sich davon zu erlösen, den Gedanken, das Wort schließlich, GOtt aufzunehmen, um ihm am Ende mit ganzer Seele anzugehören?
Ist die Welt also das, was mir den Ort gibt, meine Sinne, meine Gedanken zu bilden, auf GOtt zu richten, sie auszuformen in und für ihn? muß ich auf diesem Berge sitzen, Dich zu schauen? der Du die Helle bist, die mich sehend macht?
Aber die Fragen kommen ja nicht aus dem Licht, sondern vom Schiff der Fischer. Der Bote wird, wenn er wiederkommt, meiner Antwort harren, um sie den Schwestern und Brüdern zu bringen. Ja, die Altäre der Heiden verdunkeln das Licht mit fettem, stickigem Rauch. Und der entsetzte Blick der Brüder und Schwestern trifft mich, da sie den HErren meinen. Sollen sie lügen? müssen sie sich gegenüber der Torheit bekennen? Verlangt es das Wahre, sich jenes steinernen Bildnisses wegen einem grausamen Tode anzuvertrauen? Ist es endlich dem Geldbeutel des Einzelnen anheimgestellt, sich von diesem Grauen loskaufen zu können? Beherrscht uns also doch ihre Lüge? und nicht unser Hoffen, unsere Zuversicht?
Johannes machte eine Bewegung hin zum Korb, nahm den irdenen Krug und trank. Das Kühle, Erqickende durchrann seinen Körper; aber er spürte sofort, daß er damit dessen Gleich- gewicht gestört hatte. Der eine Schluck verlangte andere. Bist du das, die Spur GOttes in dir, oder ist es der Körper, dessen Bedürfen du erwecktest?
Denn das Erqickende des Wassers war wie die Ferne, die er schaute.
Johannes nahm eine Feige und kostete, kostete von der laut brechenden Festigkeit des Apfels. Was er erhofft hatte, trat ein: sein Körper verlangte nicht mehr nach Flüssigkeit.
[...]




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