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Die ganzen Tage verbrachte ich im Zelt, zeichnete
die zurückgelegten Marschrouten auf, machte Notizen in den Tagebüchern und
schrieb Briefe. Zwischen diesen Beschäftigungen ging ich auch an der Küste
spazieren und beobachtete die Vögel.
Am Abend unterhielt ich mich mit Dersu lange über
Jagd, Tiere, Waldbrände und anderes mehr. Er hatte interessante und
scharfsinnige Beobachtungen gemacht. So waren nach seinen Worten vor etwa 20
Jahren die Tiger zwei Winter hindurch von Westen nach Osten gezogen. Das hatte
er nicht allein bemerkt, auch andere Jäger hatten das beobachtet. Alle
Tigerspuren gingen in diese Richtung. Seiner Ansicht nach war das eine
Massenwanderung der Tiger aus dem Sungari-Gebiet zum Sichote-Alin. Dann
erinnerte er sich daran, daß 1886 ein großes Wildsterben war. Im Sommer gingen
die Fleckenhirsche zugrunde, dann begannen die Isjubr-Hirsche zu verenden und
im Winter - die Wildschweine.
Früher hatte ich einige Male versucht, Dersu zu
fragen, unter welchen Umständen er einmal einen Tiger getötet hatte, aber der
Golde hatte beharrlich geschwiegen oder sich bemüht, das Gespräch auf ein
anderes Thema zu bringen, aber heute gelang es mir, in Erfahrung zu bringen,
wie das geschah.
Die Sache ereignete sich am Fluß Fudsin, im Monat
Mai. Dersu ging durch das Tal, mitten durch das dichte Gehölz eines
Eichenhains. Bei ihm war ein kleiner Hund. Anfangs lief er munter voraus, aber
dann begann er, Unruhe zu zeigen. Da Dersu nichts Verdächtiges sah, glaubte er,
der Hund fürchte sich vor einer Bärenfährte und ging ohne Sorge weiter.
Aber der Hund beruhigte sich nicht und drückte
sich so an ihn, daß Dersu praktisch gehindert wurde, weiterzugehen. Es stellte
sich heraus, daß ein Tiger in der Nähe war. Als dieser den Menschen sah,
versteckte er sich hinter einem Baum. Durch Zufall ging Dersu gerade auf diesen
Baum zu. Je näher er kam, desto mehr duckte sich der Tiger; er schrumpfte
regelrecht zu einem Knäuel zusammen. Die Gefahr nicht spürend, stieß Dersu den
Hund mit den Beinen von sich, aber in diesem Augenblick sprang der Tiger
hervor. Er machte einen großen Satz zur Seite, begann, mit dem Schweif zu
peitschen und wütend zu brüllen.
- Was deine brüllt? - rief ihm Dersu zu. - Meine
dich nicht stört. Warum dich ärgern? -
Da sprang der Tiger einige Schritte zur Seite und
verharrte, während er wieder sein Gebrüll erhob. Der Golde rief ihm noch einmal
zu, er möge fortgehen. Der Tiger machte noch einige Sprünge und brüllte erneut.
Als Dersu sah, daß das schreckliche Tier nicht weggehen wollte, rief er ihm zu:
- Nun gut! Deine nicht will gehen - meine
schießt, dann meine nicht schuld. -
Er legte das Gewehr an und begann zu zielen, aber
in diesem Moment hörte der Tiger auf zu brüllen und ging zum Gebüsch am Hang.
Jetzt hätte Dersu auf das Schießen verzichten müssen, aber das tat er nicht. In
dem Moment, als der Tiger in Höhe des Hanges war, schoß Dersu. Der Tiger sprang
ins Dickicht. Danach setzte Dersu seinen Weg fort. Vier Tage später mußte er
zufällig wieder den gleichen Weg zurückgehen. Als er am Hang vorbeikam, sah er
auf einem Baum drei Krähen, von denen sich eine den Schnabel an einem Zweig
putzte.
"Habe ich wirklich den Tiger getötet?" fuhr es
ihm durch den Sinn.
Kaum hatte er den Hang überschritten, stieß er bereits auf
das tote Tier. Seine ganze Flanke war voll Maden. Dersu erschrak heftig. Der
Tiger war doch fortgegangen, warum hatte er da geschossen? Dersu lief weg.
Seitdem ließ ihn der Gedanke, den Tiger umsonst getötet zu haben, keine Ruhe.
Er glaubt, daß er früher oder später dafür bezahlen muß.
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