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- Guten Abend, Hauptmann, - sagte der Angekommene zu mir gewandt.
Dann stellte er sein Gewehr an den Baum, nahm den
Rucksack vom Rücken, wischte sich das verschwitzte Gesicht mit dem
Hemdärmel ab und setzte sich ans Feuer. Jetzt konnte ich ihn gut sehen.
Dem Aussehen nach war er etwa fünfundvierzig Jahre alt. Er war ein Mensch
von niedrigem Wuchs, doch stämmig und besaß offensichtlich ziemliche
Körperkraft. Seine Brust war gewölbt, die Hände kräftig,
die Beine etwas krumm. Sein sonnenverbranntes Gesicht war typisch für
Eingeborene: hervorstehende Backenknochen, kleine Nase, Augen mit Mongolenfalte
und ein breiter Mund mit kräftigen Zähnen. Ein kleiner dunkelblonder
Schnurrbart umgab seine Oberlippe, ein kleines rötliches Bärtchen
schmückte sein Kinn. Aber am bemerkenswertesten waren seine Augen.
Dunkelgrau, nicht braun, blickten sie ruhig und ein wenig naiv. In ihnen waren
Entschlossenheit, ein aufrechter Charakter und Gutmütigkeit erkennbar.
Der Unbekannte musterte uns nicht so, wie wir
ihn. Er holte einen Tabaksbeutel hervor, stopfte sich seine Pfeife und begann
schweigend zu rauchen. Ohne ihn erst zu fragen, wer er sei und woher er komme,
bot ich ihm Essen an. So war es üblich in der Taiga.
- Danke, Hauptmann, - antwortete er, - meine sehr
essen will, meine heute noch nichts essen. -
Während er aß, fuhr ich fort, ihn zu
betrachten. An seinem Gürtel hing ein Jägermesser. Offenbar war er
ein Jäger. Seine Hände waren rauh und zerkratzt. Ebensolche, jedoch
noch tiefere Schrammen waren auf seinem Gesicht: eine auf der Stirn, eine
andere auf der Wange, dicht beim Ohr. Der Fremde nahm seine Kopfbinde ab und
ich sah, daß er dunkelblonde Haare hatte. Sie wuchsen in totaler
Unordnung und hingen in langen Strähnen zur Seite herab.
Unser Gast war schweigsam. Schließlich
hielt es Olentjew, nicht mehr aus und fragte den Fremden geradezu:
- Was bist du, Chinese oder Koreaner? –
- Meine Golde, - antwortete er kurz.
- Du mußt ein Jäger sein, - fragte ich nun.
- Ja. - antwortete er. - Meine immer auf Jagd
geht. Keine andere Arbeit, Fische fangen versteht auch nicht, nur eine Jagd
versteht. -
- Wo wohnst du? - fragte nun Olentjew weiter.
- Meine kein Zuhause. Meine immer in Bergen.
Feuer macht, Zelt aufstellt - schläft. Wenn immerfort auf Jagd, wo dann zu
Hause?
Danach erzählte er uns, daß er heute
Isjubr-Hirsche gejagt und ein Schmaltier verwundet habe, jedoch nur leicht. Als
er dem wunden Tier folgte, stieß er auf unsere Spuren, die ihn in die
Schlucht führten. Da es dunkel wurde, sah er das Lagerfeuer und ging
gerade darauf zu.
- Meine geht ganz leise, - sagte er, - denkt, was
für Leute hier so tief in Berge kommen? Dann sieht: da ist Hauptmann, da
sind Soldaten, und meine geht gerade zu.
- Wie heißt du denn? - fragte ich den
Unbekannten.
- Dersu Usala, - antwortete er.
Mich interessierte dieser Mensch. Etwas an ihm
war besonders, originell. Er sprach einfach und leise, hielt sich bescheiden,
aber nicht unterwürfig. Wir unterhielten uns. Er erzählte mir lange
von seinem Leben, und je länger er sprach, desto sympathischer wurde er
mir. Ich sah das Urbild eines Jägers vor mir, der sein ganzes Leben in der
Taiga verbracht hat. Aus seinen Erzählungen erfuhr ich, daß er sein
Leben mit dem Gewehr erhielt, seine Jagdbeute bei den Chinesen gegen Tabak,
Pulver und Blei eintauschte, und daß das Gewehr ein Erbstück seines
Vaters war. Dann erzählte er mir, daß er jetzt dreiundfünfzig
Jahre alt sei, daß er nie ein Haus hatte, immer unter freiem Himmel
gelebt und sich nur im Winter eine provisorische Jurte aus Borke oder aus
Birkenrinde gebaut habe. Die ersten Erinnerungen seiner Kindheit waren: der
Fluß, die Hütte, das Lagerfeuer, Vater, Mutter und das
Schwesterchen.
- Alle längst gestorben, - schloß er
seine Erzählung und versank in Nachdenken. Er schwieg eine Zeitlang und
begann erneut:
- Meine hatte früher auch Frau, Sohn und
Töchterchen. Blattern alle Leute kaputt gemacht. Jetzt meine allein
übrig. -
Bei dieser Erinnerung wurde sein Gesicht traurig.
Ich versuchte, ihn zu trösten, aber was bedeutete das schon für
diesen einsamen Mann, dem der Tod die Familie, den einzigen Trost des Alters
genommen hatte. Er antwortete nicht und senkte den Kopf nur noch tiefer. Ich
wollte ihm irgendwie mein Mitgefühl ausdrücken, irgendetwas für
ihn tun, aber ich wußte nicht was. Endlich fiel mir etwas ein: Ich schlug
ihm vor, sein altes Gewehr gegen ein neues einzutauschen, aber er lehnte das ab
und sagte, dass das Gewehr ihm so teuer sei wie das Andenken an seinen Vater,
dass er daran gewöhnt sei und es sehr gut treffe. Er griff zum Baum
hinüber, nahm sein Gewehr und strich mit der Hand über den Schaft.
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